Enno Schmidt
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Ein Unternehmen ist weniger das, wofür es sich hält, als vielmehr das, was es darstellt

Eröffnung
Enno Schmidt
Diese Ausstellung ist Teil des Versuches, ein Unternehmen darzustellen. Dabei handelt es sich speziell um die Wilhelmi Werke. Es handelt sich noch mehr um die Frage: Was ist das, ein Unternehmen? Die allermeisten Menschen arbeiten in Unternehmen. Die Wirtschaft bestimmt das allgemeine und praktische Bewußtsein. Sie gestaltet die Dinge, die uns umgeben und die Bahnen, in denen wir uns bewegen. Insofern ist sie kulturbestimmend. Ihr Sinn ist es, Geld zu verdienen.

Seit Jahren hegt die Geschäftsleitung der Wilhelmi Werke den Wunsch, einen Imageprospekt zu machen, in dem es weniger um den Werbeaspekt geht, als um die Darstellung der Firma, wie sie "wirklich" ist. Zunächst versuchte sich die eigene Werbeabteilung daran. Es zeigte sich, auf was für ein schwieriges Gebiet man sich zu bewegt. Darum hatte Frank Wilhelmi die Idee, die Schwierigkeiten der Herstellung eines solchen Imageprospektes selbst zum Thema des Imageprospektes zu machen. Darüber entstand eine intensive Zusammenarbeit mit externen Werbeagenturen. Aber auch die blieben in der Aufgabe stecken.
Schließlich gab es die Aufforderung an alle Abteilungsleiter der Firma, die eigene Abteilung für den Imageprospekt darzustellen. So gut diese Darstellungen im Einzelnen waren, ergab sich aus den verschiedenen internen Sichtweisen noch kein Bild. Image heißt übersetzt: Bild / bildhafte Vorstellung.

An diesem Punkt angekommen beauftragten die Abteilungsleiter mich als Künstler mit dem Versuch der Darstellung.

Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß gesagt werden, daß es weder den Wilhelmi Werken noch einer Werbeagentur besondere Schwierigkeiten macht, eine der üblichen Imagebroschüren herzustellen. Diese enthalten professionell wirkende Fotos von noch professioneller wirkenden Objekten und eine straffgetrommelte Erfolgsliste samt der obligatorischen Komponente des sozialen- und kulturellen Engagements der Firma. Je nach Zielgruppe betonen sie technische Details, Bilanzentwicklungen oder besondere Umweltaktivitäten. Was aber ist daran wahr?

Von einer Imagebroschüre erwartet man normalerweise neben der appetitlichen Aufmachung gerasterte Informationen, die schnell genannt sind. Für die Freunde des Mottos "Damit wir es schnell hinter uns haben" sei dies hier auch getan:
Über 60 Millionen Mark Umsatz im Jahr.
Dreihundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Herstellung von brandgeschützten Akustikplatten für Decken und Wände aus Holz, Metall und Glas.
Jahresproduktion: Rund 1 Mio. m².
Patentgestützte Alleinstellungsmerkmale der Produkte und einzigartige Möglichkeiten in der akustischen Innenraumgestaltung.
Weltweit führendes Unternehmen auf seinem Gebiet.
Export in 37 Länder der Erde.
Familienunternehmen in 3. Generation.
Zertifiziert nach ISO 9000 ff.
Validiert nach EG-Öko-Auditverordnung 1836/93 (EWG).
Förderung von Wissenschaft und Kunst.
Seit 1996 Aktiengesellschaft.

Zukunft:
Stabilisierung der Auftragslage durch Ausbau der Exportmärkte. Einstieg in den Möbelbau durch Zulieferung von Akustikplatten. Markteinführung der neu entwickelten akustisch wirksamen Glasrecyclingplatte mit mikroporöser Oberfläche.

Das Folgende, dessen Präsentation mit dieser Ausstellung beginnt, ist nun der Versuch, ein Unternehmen ohne jede Werbeabsicht - aber auch ohne vorsätzliche Kritik - zu beschreiben und darzustellen. Und siehe da: - es geht nicht.
Denn das Unternehmen, das geheimnisvolle Wesen, stellt sich schon selber dar. Es ist die Darstellung seiner selbst - authentisch und erschöpfend in dem, was es tut und indem es ist.
Ich verstehe meine Arbeit daher wie eine Bildbetrachtung. Das Bild ist vielschichtig und hat ungezählte Zugänge. Daher habe ich für die Blickwinkel vier Sparten gewählt.

1. "Themen". Ein Thema ist: Arbeit. Ein anderes: Akustik. ...

2. "Geschichte(n)". Darunter fällt die Historie der Firma und alles, was Mitarbeiter mit einer besonderen persönlichen Färbung über sich und die Firma erzählen.

3. "Abteilungen". Hier geht es um den eher kurzen Bericht von den Aufgaben und Eigenarten einer Abteilung.

4. "Bemerkungen". Während der Arbeit habe ich für mich Gedanken niedergeschrieben, die ich nun mit einbringe.

In den Texten mischen sich die Sparten manchmal wieder. Herr Hofmann, Chef des Marketingbereichs (bis 1997), sagte mir: "Das, was Sie da bisher abgeliefert habe, ist nicht der Auftrag, den wir Ihnen geben haben und auch nicht das, was Sie im Sommer auf der Abteilungsleiterkonferenz angekündigt hatten. Das ist nicht Ihre Sprache in den Texten. Die Sprache von Enno Schmidt ist eine andere. Die ist eine frische, manchmal auch intellektuelle - sogar sehr intellektuelle - Sprache. Die will ich hören." Meine Arbeit will allerdings die Wilhelmi Werke zur Sprache kommen lassen. Und das ist ein ganz neuer Vorgang, den es so noch nie gegeben hat. Da kann ich nicht gleich mit meiner Sprache drüberfahren. Ich muß meine Sprache zuerst einmal verlieren. Ich muß eine Sprache neu finden. Es geht dabei mehr um die Sprache der Mitarbeiter als um meine Sprache. Das ist der Auftrag.

Im weiteren Gespräch sagte ich Herrn Hofmann, mir sei bei meiner Arbeit auch Folgendes aufgefallen: Diejenigen, die auf den unteren oder mittleren Hierarchiposten im Unternehmen arbeiten, zum Beispiel als Maschinenführer, sprechen einen auch von sich aus an. Was sie sagen, ist kurz und einfach. Und es enthält Weisheit. Zum Beispiel: "Wenn man Gefühl für einen Motor hat, braucht man keinen Öldruckmesser. Als ich hier angefangen habe, da habe ich viel mehr gearbeitet als heute und doch viel weniger geschafft. Heute arbeite ich weniger und schaffe doch viel mehr. Das macht die Erfahrung, das Gefühl für die Sache." Das ist eine Weisheit!
Die Abteilungsleiter reden viel mehr. Sie versuchen, die Abläufe und Details, aber auch den Überblick über die Abteilung zu vermitteln. Dabei ist mir - als Unkundigem - oft regelrecht schwindelig geworden. Ich habe dann irgendwie sehr viel verstanden, und doch überhaupt keinen Überblick gehabt. Bei den Mitgliedern der Geschäftsleitung war es wiederum so, daß sie, wie Herr Hofmann, mir in relativ kurzer Form einen wirklichen Überblick, ein einsichtiges Bild schildern konnten.
Und bei Frank Wilhelmi geht das über das ganze Unternehmen und bis in die Weltwirtschaftszusammenhänge einerseits und in seine ganz persönlichen Empfindsamkeiten andererseits.

Die "einfachen" Arbeiter schildern vom Unternehmen ihre Arbeit in Form einer persönlichen Weisheit. Sie sind also in gewisser Weise noch frei von der umfassenden Unternehmensfrage. Die Abteilungsleiter sind da schon direkt drin. Auf ihnen liegt die direkteste Last. Sie sprechen von den konkreten Funktionsabläufen, die das Unternehmen im Ganzen betreffen, aber man erhält noch kein ganzes Bild. Und die Geschäftsleitungsleute sind wieder freier. Sie stehen tatsächlich mehr darüber und können einen flüssigen Überblick erzeugen.

Das - sagte mir Herr Hofmann - fände er schon interessanter.
Darüber hinaus ist die Darstellung - in Form einer Ausstellung, oder eines Buches - immer etwas anderes, als das Unternehmen. Möglicherweise macht diese `doppelte´ Darstellung aber erst darauf aufmerksam, daß das Unternehmen selbst bereits eine Darstellung ist. Und möglicher weise macht diese Ansicht, daß das Unternehmen weniger das ist, wofür es sich hält, als vielmehr das, was es darstellt, schon den Weg für einige neue Gedanken frei.

Enno Schmidt, 1997