Enno Schmidt
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Das Unternehmen Wirtschaft und Kunst - erweitert hat sich aus gemeinsamen Fragen der Kunst und der Wirtschaft gebildet. Es versucht, eine künstlerische Vorgehensweise in der Wirtschaft ins Gespräch zu bringen und hierfür Modelle zu entwickeln. Das Projekt "Allee Kassel - Eisenach" ist der rote Faden und eine sinnliche Basis unserer Auseinandersetzung, die eine Übereinstimmung von Arbeit und Produktion mit den Bedürfnissen und Fähigkei­ten des Menschen zum Ziel hat.

Chronologie
In einem mittelständischen holzverarbeitenden Unternehmen in Hessen, den Wilhelmi Werken, bildete sich im Sommer 1989 ein Gesprächskreis mit Teilnehmern aus freien gestal­terischen Berufen und Mitgliedern der Geschäftsleitung des Unternehmens zur Klärung der Frage nach neuen Produkten und einer Unternehmensidentität, die in Zukunft Gültigkeit haben kann. Mit dieser Frage gerieten die Gespräche bald aus der Ebene der vorgesetzten Ziele, Sach­zwänge und Moden heraus auf die Ebene des persönlichen Erlebens. Das bedeutet, daß ein Erfahrungs-Mehrwert aus den verschiedenen Berufen frei wird, der sich wechselseitig über­schneiden kann. Wo er das tut, entstehen Strukturpunkte für eine Zukunftsplanung.
Die Gespräche verdichteten sich in der Formel: Die Wilhelmi Werke pflanzen einen Wald. Damit war eine allseits förderliche und bewußte Einbindung all der Faktoren in das unter­nehmerische Vorgehen gemeint, die zur Schaffung eines Produktes beitragen, und die von diesem Produkt berührt werden. Unter dem Vor-Bild des ökologischen Gefüges "Wald" sollte die komplexe Bedarfsstruktur des Menschen und der Natur in den Vordergrund tre­ten. Der unternehmerische Auftrag erweiterte sich auf geistige, gesellschaftliche und evolu­tionäre Zusammenhänge.
Der Verarbeitung von Bäumen zur Befriedigung eines bestimmenden Marktbedarfes begeg­nete eine Sichtweise, die den Sinn von Produktion aus eigener Erkenntnisarbeit selbst be­stimmt und den Produktionsweg der Holzverarbeitung auf die Pflanzung eines "Waldes" umlenkte.

Zur gleichen Zeit, im November 1989, hatten Künstler aus Düsseldorf und Köln, Mitarbei­ter des Forschungsunternehmens "Erweiterter Kunstbegriff" aus Kassel und die Betreiber des "Omnibus für Direkte Demokratie in Deutschland" die sich abzeichnende Wiederver­einigung Deutschlands als Aufforderung empfunden, im Sinne der Skulptur "7000 Eichen" von Joseph Beuys ein die beiden Teile Deutschlands verbindendes Projekt zu entwickeln. Die 7000 Eichen verkörpern ein wachsendes neues Denken, neben dem das Tote der verhär­teten Strukturen und Begriffe, wie der neben jeden Baum gesetzte Basaltstein, zurückbleibt. In dieser Gruppierung entstand unter Anderem die Idee, eine Alle von Kassel nach Eisenach zu pflanzen. Die inhaltlichen Ansprüche, die mit der Skulptur "7000 Eichen" bereits in Erscheinung getreten waren, wurden mit dieser Idee "Allee Kassel - Eisenach" aufgenommen und auf die Frage der Identität eines wiedervereinigten Deutschland bezogen. Zugleich war hiermit das künstlerische Begreifen auf das unternehmerische Aktionsfeld erweitert.
Das waren die Punkte, in denen sich die Entwicklung aus dem Wirtschaftsunternehmen Wilhelmi Werke mit den Plänen der Künstlergruppe verbinden konnte.
Auf der Suche nach einem geeigneten ersten Pflanzort - einem Eröffnungsbild für die Allee - trafen wir im Frühjahr 1990 in Creuzburg bei Eisenach auf einen Pfarrer und Umweltbeauftragten der Ev. Luth. Kirche Thüringens, der unser Ansinnen auf die damals noch bestehende innerdeutsche Grenze übertrug. Er wollte unsere Aktion auf den Grenzstreifen erweitern, um deutlich auf ihn als zu schützenden Lebensraum aufmerksam zu machen. Zur weiteren Besprechung des Vorhabens luden wir gemeinsam zu einer Bürgerversammlung in den großen Saal des Rates der Stadt Eisenach, wo wenige Monate zuvor noch die SED getagt hatte. Auf diesem Treffen wurde unsere Idee und der erste Pflanzort an der Grenze als sinnvoll bestätigt. Daraus entstammt das Eröffnungsbild der Allee Kassel-Eisenach, das "Baumkreuz". Im November 1990 pflanzten wir an der Bundesstraße B7 zwischen Kassel und Eisenach dort, wo die Straße die Grenze wieder durchquert, gemeinsam mit der Bevölkerung der umliegenden Ortschaften, mit Mitarbeitern des PLF-Büros für Landschaftsplanung aus Kassel und den Mitarbeitern der Wilhelmi Werke 140 Eschen und Linden entlang der Straße in ost-westlicher Richtung und beiderseits des Grenzzaunes in nord-südlicher Richtung.
Die Finanzierung leisteten zu gleichen Teilen die Künstler und das Wirtschaftsunternehmen.
Das "Baumkreuz" ist eine Skulptur. Es zeigt in überzeugender Weise das Überkreuzen verschiedener inhaltlicher Bewegungen, die einen Aktionspunkt bilden. Das Zeitliche Element der Überkreuzung wird in der wachsenden Entwicklung der Bäume linear und rhythmisch aufgenommen. Dem entspricht in Fortführung das Bild der Allee und die Gründung eines neuen Unternehmens, das die gemeinsame Arbeit als Rechtsperson darstellt, das die Kontinuität der aktionshaften Arbeit gewährleistet und die Fortpflanzung der Idee auch mit Ausstellungen, öffentlichen Ringgesprächen, Künstlereditionen und Publikationen betreibt.
Gesellschafter des gemeinnützigen GmbH "Unternehmen Wirtschaft und Kunst - erweitert" sind: Ralf-Uwe Beck, Pfarrer und Umweltbeauftragter der Evang.-Luth. Kirche Thüringens und Vorsitzender des BUND Thüringen, Walter Dahn, Künstler/Maler, Enno Schmidt, Künstler, Norbert Scholz, Landschaftsplaner und Gartenbau-Architekt, Johannes Stüttgen, Künstler, Frank Wilhelmi, Unternehmer und die Firma Wilhelmi Werke AG, Hersteller von Akustikplatten für den Innenausbau.
Geschäftsführer war bis ende 1995 Enno Schmidt. Seit 1996 sind die Geschäftsführer Johannes Stüttgen und Frank Wilhelmi. Dem "Baumkreuz" sind mittlerweile zwölf weitere Pflanzaktionen gefolgt, die auf Bürgerversammlungen und in den Betriebsversammlungen der Wilhelmi Werke besprochen und weiter entwickelt wurden. Die Diskussion auf dem Hintergrund unserer unternehmerischen Arbeit verweist immer auf eine Realisation des Gesagten. Diese beginnt bereits in der Gedankenbildung und in der Schaffung eines sozialen Kontextes im Gespräch.
Das Pflanzen der Bäume ist ein plastischer Vorgang, der von Jahr zu Jahr fortschreitet. Die Bäume werden aus einem komplexen begrifflichen Zusammenhang und aus einem daraus resultierenden Willen gepflanzt. Dadurch wird der Ort der Pflanzung zu einer Gestalt. Diese Gestalt erwächst aus den lokalen Gegebenheiten und beinhaltet ein Bewußtsein, das in den konkreten Fragen vor Ort neue Wahrnehmungen und Umgehensweisen eröffnet. Die einzelne Pflanzung schafft eine gemeinsame Aktion, die den Charakter des Gesamtvorhabens Allee Kassel-Eisenach erlebbar macht.