Antje Schiffers

Aus der Bewerbung von Antje Schiffers als Werkskünstlerin bei der Continental AG, Hannover

Vorrede

Für eine Ausstellung in Siena habe ich im Jahr 2001 ein Projekt konzipiert, das auf Tauschgeschäften basierte. In der Tradition der deutschen Künstler des 19. Jahrhunderts beziehungsweise in Nachahmung meiner Idee von ihnen bin ich drei Monate lang durch Italien gereist und habe mir vorgestellt, eine arme Malerin zu sein. Alles, was ich gebraucht habe, habe ich mit Bildern bezahlt: einen italienischen Sprachkurs, Malmaterial, Kost und Logis. Meine Tauschpartner konnten mir Aufträge für diese Bilder erteilen. Auch die Volkswagen AG hat einen Handel mit mir abgeschlossen: Ich habe einen VW-Sharan zur Verfügung gestellt bekommen und im Gegenzug ein Reisetagebuch angefertigt.

Es interessiert mich, das Prinzip der „Auftragskünstlerin“ fortzuführen. So ist die Idee entstanden, der Continental AG meine befristete Anstellung anzubieten.

Wie ich mir das vorstelle

Ich mache eine Reise durch verschiedene Abteilungen, denen ich jeweils für eine oder zwei Wochen als Künstlerin zur Verfügung stehe. Jede Abteilung kann diesen Service in Anspruch nehmen. Die jeweilige Abteilung sucht mit mir gemeinsam nach einer Idee für ein Kunstwerk, das die Abteilung sich wünscht und das ich anfertige. Dabei wird ebenso über den Bildgegenstand diskutiert und entschieden wie über die zukünftige Verwendung des Bildes und den Ort, an dem es verbleibt. Ich zeichne, male oder fotografiere die Bilder vor Ort. Nach der Fertigstellung gehören sie den Abteilungen beziehungsweise der Continental AG. Wir verhandeln darüber, wie meine Arbeit bewertet oder honoriert wird. Ich schlage vor, das Projekt auf zwei oder drei Monate zu befristen.

Kommentare zum Nutzen der Werkskunst: 1. Das Verhältnis von Wirtschaft und Kunst

Wie Wirtschaftsunternehmen und Künstler zueinander stehen, ist eine derzeit häufig besprochene Angelegenheit.

Unternehmen treten manchmal als Sponsoren auf. Sie fördern unter anderem künstlerische Vorhaben. Dies scheint auch von ihnen erwartet zu werden. Die Tätigkeit des Förderns ist, vermute ich, weit entfernt von anderen zu verfolgenden Unternehmenszielen. Das Fördern durch Sponsoring wird unterschiedlich interpretiert: Es kann eingeordnet werden als ein Mittel zur Aufwertung des Bildes, das ein Unternehmen von sich entwirft und propagiert. Oder aber als Ausdruck der Überzeugung, dass Kunst eine wünschenswerte gesellschaftliche Funktion erfüllt und Unternehmen wie auch andere gesellschaftliche Gruppen und Institutionen die Möglichkeit haben, dieser Auffassung entsprechend zu handeln, wofür Sponsoring ein Beispiel ist. Künstler haben häufig ein zwiespältiges Verhältnis zum Kontakt mit Unternehmen - und je größer das Unternehmen, desto gespaltener die Gedanken.

Den Vorschlag zur Zusammenarbeit, den ich Ihnen mache, betrachte ich auch als gemeinsamen Kommentar zu diesem Thema: einen Vertrag zwischen Künstlerin und der Continental AG, bei dem die gewählten Strukturen, die Aufgaben und gegenseitigen Ansprüche definiert und damit nachvollziehbar werden.

2. Auftragsarbeit und Künstlerbilder

Es gibt viele Bilder von dem, was ein Künstler sei: Er kann den Handwerkern zugeordnet werden oder den Genies. Er versucht, ein Abbild der Wirklichkeit zu schaffen oder er sucht das Schöne. Für manchen ist Kunst nur dann wirkliche Kunst, wenn der Künstler seinem Inneren Ausdruck verleiht. Der Auftragsmaler ist jedenfalls eine antiquierte Sache. Ich benutze dieses Klischee oder diese Rolle gern, um in Kontakt zu treten mit anderen Lebenswelten und Erfahrungsbereichen. Ich kann Gespräche und Handlungen anregen und die Welt kennen lernen. Auch mein möglicher Aufenthalt „bei Conti“ erscheint mir wie eine Reise durch eine neue Welt. Ich bin neugierig auf die verschiedenen Orte und Situationen: auf die Produktion, auf die Großküche, den Betriebsrat, das Frauenreferat und die Vorstandsetage. Ich würde mich freuen, eine Arbeit tun zu können, die von den verschiedenen Bedürfnissen und Kunstvorstellungen der Mitarbeiter ausgeht.

Mein Interesse gilt dabei auch den Diskussionsstrukturen, die sich für mein Anliegen ausbilden und nicht unbedingt den für betriebliche Zwecke bewährten entsprechen müssen. Setzt man sich zusammen? Wer entscheidet? Wird ein Bild für einen gemeinsam genutzten Raum bestimmt? Oder kann es jeder leihweise mit nach Hause nehmen?

Auch auf die Beurteilung und Bewertung meiner Arbeit bezieht sich meine Neugier. An welchen Kriterien wird sie gemessen? Mit welcher Tätigkeit wird die der Künstlerin verglichen? Soll sie monatlich entlohnt werden, wie die einer Angestellten, oder läßt sich eine andere Form von Tauschgeschäft erfinden? Sollen Produkte gegen Produkte getauscht werden?

3. Was übrigbleibt

Während meiner Tätigkeit entstehen Bilder und Zeichnungen, also künstlerische Produkte im klassischen Sinne. Außerdem werden Fragen gestellt, Gespräche geführt, Urteile gefällt, Zweifel geäußert und Staffeleien getragen. Die Dokumentation all dieser Situationen und Umstände betrachte ich als ebenso wichtig und in ebensolchem Maße als Ergebnis des gemeinsamen Experimentes wie die ausgeführten Aufträge. Sie kann aus Fotos, Video und Schriftstücken bestehen. Alle Beteiligten können sich an der Dokumentation beteiligen. Ich stelle mir vor, dass am Ende eine Art Erzählung entstanden sein wird.

Diese bebilderte Erzählung kann werksintern in Form einer Ausstellung oder/und eines Vortrags vorgestellt werden, wobei die Abteilungen ihre Bilder als Leihgabe zur Verfügung stellen.

Im Kunstverein Hannover soll diese Zusammenarbeit im Rahmen einer Einzelausstellung präsentiert werden, die im Jahr 2003 oder 2004 stattfinden wird.

Nachrede

Ich betrachte die beschriebene Idee auch als eine Untersuchung zur Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz von und eines gesellschaftlichen Auftrages an Kunst. Wen interessiert sie? Wen kann sie interessieren? Wollen wir sie haben? Wofür kann sie gut sein? Welche Bedeutung geben wir ihr? Was ist sie uns wert?

Ich denke, dass das Werkskünstlerexperiment dazu ein schöner und positiver Kommentar sein kann.

Zunächst hoffe ich, dass Sie Freude an meiner Idee haben und freue mich - sollte dies zutreffen - auf unsere Zusammenarbeit.