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Konstantin Adamopoulos | |||||
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Beitrag für das Jahrbuch des Instituts für moderne Kunst, Nürnberg: Über das künstlerische Tätigsein in Wirtschaftsunternehmen. - “Bild” oder “Dienst”. Ein E-Mail-Gespräch mit den Künstlern Enno Schmidt und Armin Chodzinski, moderiert und redaktionell bearbeitet von Konstantin Adamopoulos. Lektorat: Doris Lösch. Konstantin Adamopoulos: Welche künstlerischen Kompetenzen gibt es, die für Unternehmen interessant sind? Armin Chodzinski: Was ureigene künstlerische Kompetenzen sind, ist mir eigentlich nicht ganz klar und verwässert sich auch, je mehr man in unternehmerischen Zusammenhängen agiert. In dem Moment, in dem die Entscheidung fällt, sich mit Kunst zu beschäftigen, sind eine Reihe von Kompetenzen zwangsläufig gefragt - man hat sie in der Praxis zu entwickeln, will man überhaupt arbeiten. Man muss sich seinen Anlass selbst suchen, die Finanzierung klären, die Schnittstellen, die zur Produktion des Werkes notwendig sind, aufeinander einstimmen. Man muss Vermittler, Promoter und Manager seines Werkes seien. Man muss formale Entscheidungen priorisieren, um Dinge sicht- und oder finanzierbar zu halten. Man lernt klassisches Projektmanagement in der Produktion eines Werkes, welches einen definierten Anfangspunkt - die Idee - und Endpunkt - die Sichtbarkeit - besitzt. Hier handelt es sich um praxisorientiertes Know-how, das sich letztlich auf alle Prozesse anwenden lässt. Für ein Unternehmen ist dabei interessant, dass man im Prinzip die Mischung aus jungen high-potential-Absolventen mit mehrjähriger Berufserfahrung für das tägliche Business allein unter den Kunstschaffenden finden kann. Dies ist natürlich nicht die Kompetenz, die das Unternehmen sucht oder anfordert, denn dafür besteht ja gar kein rechtes Bewusstsein. Aber letztlich ist diese Kompetenz das, was die künstlerische Kompetenz herauslöst aus der Ecke der Personalentwicklung und der Verniedlichung als weichen Faktor. Der Umgang mit oder besser das Sehen von Bildern ist vielleicht schon eher eine Kompetenz, die als so etwas wie eine künstlerische Kompetenz dechiffrierbar ist und die im Berufsalltag eingesetzt, Wirkung zeigen kann. Unternehmen sind heute eben auch Bildwerkstätten: sei es die Produktion von Folien, von Leitbildern, Unternehmenskultur oder Geschäftsprozessen. Überall werden im Unternehmen Bilder produziert, die allerdings kaum jemand zu lesen, geschweige denn kompetent zu machen, in der Lage ist. Hier ist eine Art Bildkompetenz, also auch eine handwerkliche Kompetenz sinnvoll und kann regelrecht effizientere Strukturen und Kommunikation gewährleisten. Bildkompetenz ist allerdings nicht etwas, das sich in Kreativ-Workshops vermitteln lässt, vielmehr muss es eine direkte Anbindung an den Arbeitsalltag geben. Bildkompetenz ist keine Spielerei innerhalb von Sondersituationen, sondern ein Erfolgsfaktor zeitgemäßen unternehmerischen Handelns. Auf der anderen Seite gibt es natürlich noch die Künstler als Repräsentanten überkommener Freiheitsmodelle, anarchischer Momente, Geniusvorstellungen usw. Hierbei ist die künstlerische Kompetenz das Ventil einer Konstruktion der Selbstbestimmtheit. Diese Art der Kunst ist bei Sammlern beliebt, wird gern gekauft und beschaut. Die Kritik-Konstruktion ist dabei immer auch ein Mittel zur Innovationsstiftung. Das ist auch eine Funktion von Kunst, die manchmal intendiert ist, ihr aber meist nur von Markt und Käufern zugewiesen wurde. Welche Arbeit von Joseph Beuys hängt direkt vor dem Fahrstuhl des Deutsche Bank Headquarters in Frankfurt? “Die Revolution, das sind wir!” K.A.: Und wie vermittelst Du das in Deinem Fall? A.C.: Mir ist nicht klar, ob es um Vermittlung geht. Letztlich glaube ich an eine politische Dimension von künstlerischen Tätigkeiten, und das bedeutet, dass die Vermittlung keine Werbemaßnahme sein kann, sondern ein auf Erkenntnis angelegter Prozess ist, der eben auch ein - vielleicht naives - gesellschaftliches Ziel besitzt. Vermitteln kann man das am ehesten durch visuelle Argumentationen, durch das eigene Auftreten, den Gestus, die Summe an Geld, die man dafür verlangt, mit jemandem zu sprechen, die Weiterführung von Bildern in eine Idee von Anwendbarkeit von Kunst. Die Vermittlung beginnt dort, wo man anfängt zu handeln und dabei bewusst Bilder setzt, die auf die Offenlegung der Prozesse und Strukturen anspielen. Entscheidend ist aber, dass die Kunst der Wirtschaft genauso viel oder wenig zu sagen hat, wie es umgekehrt der Fall ist. Vielleicht entäußert sich ein politisch gesellschaftliches Bewusstsein in der Kunst noch eher als in der Wirtschaft, aber politisches Bewusstsein ist zunächst einmal überall gleichermaßen vorhanden. Für mich geht es hierbei gar nicht mal um Kunst - das ist mein Feld, das ist meine handwerkliche und gedankliche Basis - sondern um Kulturproduktion unter Berücksichtigung gewisser politischer Parameter, weshalb Vermittlung Agitation bedeutet. Um Bilder zu wissen, bedeutet auch, für Bilder Verantwortung zu übernehmen. K.A.: Du sprichst einerseits von der Konstruktion der Selbstbestimmtheit und der Kritik-Konstruktion. Das stellt klar, dass dies Konstrukte sind, Vorstellungen, die hauptsächlich auf der Ebene des Rezipienten bzw. bei Romantikern gilt. Wir könnten sagen, dies sei eine bestimmte Äußerung des Bedarfs an Kunst, eine konstruierte Vorstellung. Du betonst andererseits die grundsätzliche künstlerische Ebene, nämlich die Ebene der Haltung, der Handlung und der Agitation. Vielleicht sind in dem Gegenüber oder der Gemeinsamkeit von “Künstlerin” und “Unternehmerin” die Grenzen zwischen den Akteuren deutlicher als bei der offeneren Kategorie “Künstlerin - Rezipientin”. Vielleicht soll es im Aktionsfeld zwischen “Künstlerin” und “Unternehmerin” durchlässiger, innovationsträchtiger, auf Zukünftiges eingestellt zugehen. Enno, siehst Du da ein subversives Spiel von Nöten, das die Vorstellungen über und im Feld “Künstlerin - Unternehmerin” erst einmal auflöst? Geht es beim Thema künstlerischer Kompetenzen um klassische Kunst als Handwerk, um Bilder, um das Bearbeiten der Differenzen? Geht es um Macht- und Hierarchieanalysen, um das historisch kritische Hinterfragen von Bedeutungen, um Kapitalismuskritik? Was wäre daran für Unternehmer interessant und verlockend? Die Prognose des Zukünftigen? Enno Schmidt: Ein subversives Spiel von Nöten sehe ich darin zunächst nicht, weil es tatsächlich Nöte oder Notwendigkeiten sind, die einen als professionellen Unternehmer, Mitarbeiter oder Künstler antreiben und in denen man die vorhandene Hilflosigkeit nicht mit Kalkül gleichsetzen muss. Um handwerkliche Fähigkeiten geht es insofern, als diese im klassischen Sinne der Kunst mehr als bloßes Handwerk bedeuten. Sie sind eine Erlebnisbasis und gut geeignet, um immer wieder sinnliche Markierungen einzufügen, um so zu sagen zu “künden”. Bei Armin ist es ja so, dass er z.B. kündigt. Nicht als vorherbestimmter Plan, aber doch als möglicher Teil seiner Strategie im gesamten Ablauf einer Arbeit mit Unternehmen. Alle sind geschockt, denn gerade war es so, dass sie ihn, den Künstler, doch für einen ganz brauchbaren Mitarbeiter hielten, sogar für einen Hoffnungsträger, also für das, was sie im Prinzip von sich selber halten. Auf einmal kündigt er. Unvermittelt fragen sich andere, warum sie das nicht auch tun. Er kündigt aus Gründen des Selbstverständnisses, die in der konstruierten Abhängigkeitssituation in einem Unternehmens für andere nie Anlass genug waren, um zu kündigen. Er macht also plötzlich das Ganze zu einem Bild. Das eigene Selbstverständnis geht hier deutlich unter die Haut und führt sich ex negativo als den Faktor ein, der in der Wirtschaft unterbelichtet ist. Er kündigt nicht, weil er von einer anderen Firma ein besseres Angebot hat, er geht nicht in ein anderes Unternehmen, sondern er kündigt der Wirtschaft, er geht wieder in den Bereich Kunst. Gleichzeitig wird deutlich, dass dieser Faktor in der Kunst genauso unterbelichtet ist, nur nach einem anderen Vorzeichen, nämlich dem, dass es in der Kunst allein um dieses Selbstverständnis ginge. Kunst ist aber ein genauso umrissener oder konstruierter Bereich mit eigenen Gesetzen wie Wirtschaft. Und beide Male sind diese heutigen Definitionen gemessen an der Sache nicht umfassend genug, also unsachlich oder einfach: nicht stimmig. Das Problem, das ich hier beschreibe, ist insofern von gesellschaftlicher Relevanz, als eine Erweiterung entwickelt wird einerseits auf den Einzelnen hin, die Bedeutung seines Selbstverständnisses, also aus irgendwelchen Gruppenzugehörigkeiten heraus, und andererseits auf das Ganze hin, beispielsweise auf das Ganze des Begriffs Wirtschaft oder des Begriffs der Kunst hin. Auch hier herrschen noch eingeschränkte Vorstellungen von Zugehörigkeit. Zum einen geht es stärker um den Einzelnen, zum anderen schöpferischer oder verantwortlicher um größere Zusammenhänge. Konkret politisch und als Anspruch der Kunst heißt das z.B.: Weiterentwicklung des Parteienstaates zu einer Direkten Demokratie. Das sind die äußeren Bezeichnungen. Innerlich gesehen heißt das: unzählige kleine oder größere naheliegende Schritte. Es geht nicht um abstrakte Ziele, sondern um die konkreten Aktionen in einem Gestaltungsfeld. Wenn ich als Künstler in einem Industrieunternehmen Protokolle der Sitzungen zu komplexen planerischen und strukturellen Themen anfertige, dann erkläre ich darin und in der Art meiner Aufmerksamkeit oder Gewissenhaftigkeit das Thema und das Unternehmen zu so einem Gestaltungsfeld. Vorher wird das so nicht gesehen. Vorher folgt man nur wieder mal einem neuen Führungstool. Das Tool suggeriert die Hoffnung, irgendwo anzukommen, und dann sei es schon gut. In den Protokollen hingegen manifestiere ich eine Wertschätzung, durch das Fachliche hindurch, für die Gedankenansätze, für die Initiativkräfte und Motivationen des Einzelnen hin, die sich in Sitzungen auch zeigen, aber zu Gunsten der bloßen “Endergebnisse” übergangen werden. Also erzeuge ich eine Basis, auf der man alles auch anders machen kann, nämlich so, dass man sich selbst ernst nimmt. Ich tue das nicht aus didaktischer Absicht, sondern weil mich nichts anderes interessiert. Nebenbei beweise ich damit, dass man die fachlichen Zusammenhänge mit diesem Ansatz genauer versteht, als wenn man die lebendigen Unternehmensprozesse mit dem Warten auf den eigenen Vorteil halb durchschläft. Genauigkeit gehört zur Schönheit. Das sind Details der klassischen Kunst, die der Wirtschaft fehlen. Armin verwies auf Planungskompetenz, auch auf Durchsetzungsvermögen in Sachfragen, also auf Angstfreiheit und Selbstverantwortlichkeit, was wieder maßgeblich mit Hierarchiefragen zu tun hat. Hierarchien sind Betäubungsmittel, wenn sie nicht auf täglich erlebbarer Kompetenz beruhen. Eine Hierarchieform ist davon besonders betroffen, nämlich die des Eigentums. Auch wenn es missverständlich klingen mag, aber Eigentum, sei es staatlich oder privat, hat in Unternehmen nichts zu suchen. Der Aktionär kann treuhänderischer Verwahrer neutralen Unternehmenseigentums sein, aber nicht Konsument im Produktionsbereich, nicht Einkommensempfänger ohne Leistungen. Unternehmen sind keine Ware, von der man sich ein Stück kaufen kann und dafür Nutznießer des Unternehmens wird. Konsumbereich und Produktionsbereich muss man strikt voneinander trennen. Heute erscheint alles als zu Konsumierendes. Die Eigenart und der Wert dessen, was Produktion ist, verschwinden aus dem Bewusstsein. Die Künstler sind vielleicht die einzigen, die wissen, was Produktion ist. Sie arbeiten nicht für Geld - jedenfalls nicht ursächlich. Und sie sind eingebildet genug, das, was sie an sich selbst als richtig erkennen, auch auf alle anderen zu beziehen. Jedenfalls sollten sie das tun, und nicht vor der Übermacht einer als Realität ausgegebenen Gewohnheit aus Politik oder Wirtschaft in die Knie gehen. In der Wilhelmi Werke AG habe ich über gut ein Jahr eine Unternehmensbetrachtung durchgeführt in der Vorgehensweise einer Bildbetrachtung. Ich habe also die Firma wie ein Kunstwerk betrachtet, wie eine Darstellung seiner selbst, ohne die Scheuklappen der Gewohnheit - auch ohne die Scheuklappen einer gewohnten künstlerischern Praxis. Vordergründig hatte das auch handgreifliche Vorteile für die Firma. Jetzt wussten die im Versandlager endlich, was genau da in der Konfektion oder am Zerspaner gemacht wird. Jetzt sprachen in den Kommentaren, Bildern und Gesprächswiedergaben alle Hierarchiestufen auf einer Ebene mit gleicher Wichtigkeit. Das “System Unternehmen” war ausgehebelt, damit das Unternehmen als Organismus zur Sprache kommt. Dazu habe ich auch die Geschichte des Unternehmens aufgearbeitet. Es ist wichtig, den geschichtlichen Boden zu kennen, auf dem man im Unternehmen steht. Denn Unternehmen sind auch Mythen. Diese Mythen beeinflussen maßgeblich das Geschehen, ohne dass sie bewusst gehandhabt werden. Die mythische Qualität muss in eine Erkenntnisqualität umgewandelt werden. Das bewirkt eine Qualitätsveränderung in der Identifikation. Als ich die Unternehmensbetrachtung in der Firma auszustellen begann und die Mitarbeiter dazu in einer Art einladen wollte, wie dies von der Firma bisher nur bei VIP-Veranstaltungen gegenüber Kunden gemacht wurde, kam es fast zu einem Streik. Denn, so das Argument der Mitarbeiter: “Wenn für so was Geld da ist, dann wollen wir auch endlich an unserem Arbeitsplatz die Bedingungen erfüllt haben, die wir für unsere Arbeit notwendig finden.” Sie forderten das Recht auf die Bestimmung ihrer Bedingungen und Mittel am Arbeitsplatzes ein. Das alles kann man vordergründig sehen. Aber man kann darin auch das Bild einer ganz anderen Gestalt von Unternehmen sehen. Es geht immer um das Fehlende, das man nicht dezidiert beschreiben kann, es auch nicht sollte, weil es in der Dynamik eines Prozesses erlebbar werden muss, sonst perlt es als Theorie ab. Aus dem Gewahrwerden des Fehlenden ergibt sich das konkret Neue. Mir geht es nicht um Innovationen innerhalb der bekannten Muster, sondern um eine neue Ebene. Wenn ich also z.B. seit einem Jahr in einer Stiftung mitwirke, dann geht es mir nicht nur darum, dass Projekte, die ich für wichtig erachte und die im Zweck der Stiftung liegen, Geld bekommen, sondern viel mehr geht es mir darum, dieses Instrument “Stiftung” auszudifferenzieren zu einer anfänglichen, vielleicht modellhaften Demokratisierung des Geldes, zu Organen eines Geldkreislaufes, der Initiative und Bedarfsbefriedigung dient, in dem das Geld dahin fließt, wo es gebraucht wird und sich nicht als Spekulationsobjekt verflüchtigt. K.A.: Der Regisseur Jean-Luc Godard empfahl, keine politischen Filme, sondern Filme politisch zu machen, ohne Kommentar sichtbar zu machen, was ausgeblendet wird. Er empfahl die Themenreflexion, indem das Filmemachen selbst zum Gegenstand wird. Es geht also immer wieder darum zu klären, wie gesellschaftlich relevantes Engagement für Künstler und Intellektuelle aussehen kann, was auf dem Weg dahin an begleitenden Voraussetzungen zu befragen ist. Wichtig bleibt, wie die vorhandenen Strukturen und herrschenden Machtverhältnisse analysiert und wie eine Analyse auf die Verhältnisse selbst angewendet werden kann, um diese zu ändern. Es geht um die Systemfrage. Die Vorstellung, frei zu sein und kritisch zu sein, zum Beispiel als Künstlerideal in der Selbstwahrnehmung, wird genauso hinterfragt, wie die Erwartungen der Gesellschaft. Es ist interessant, wem und wie “Bedeutung” zugemessen wird, zum Beispiel bei Begriffen wie “Wert” oder “Definition”. Das Gesprächs- oder Problemfeld, wenn wir über Künstler und Künstlerinnen in Unternehmen sprechen, haben wir uns gestellt. Auch hierbei kann es wichtig sein, Differenzen in den gesellschaftlichen und beruflichen Biografien zu erkennen. Künstlerische Techniken können dabei zum Beispiel sein: “Zeigen, was ist”, “Ironie”, “Subversion”. Armin, Du sprachst über Bildkompetenz als Erfolgsfaktor unternehmerischen Handelns und wirst als Co-Dozent bei den Wirtschaftswissenschaftlern an der privaten Universität Witten Herdecke dazu unterrichten. Was möchtest Du vermitteln? Was ist dabei Deine Motivation? AC: Zunächst zu den formalen Strukturen, die in diesem Fall von Bedeutung sind: Ich bin dort nicht Co-Dozent, sondern als Künstler eingeladen eine “Arbeit” (ein Kunstwerk) zu fertigen. Seit geraumer Zeit arbeite ich mit Dr. Claus Noppeney in dem Feld von Kunst und Wirtschaft, d.h. unser gemeinschaftliches Interesse besteht darin, uns gegenseitig in der Arbeit zu beobachten. Der Einfachheit halber legen wir die These zu Grunde, dass ich Künstler und Dr. Noppeney Manager sei. Wir begreifen uns zunächst als Stereotypen, die nach außen auch nachvollziehbar sind, um in der gemeinsamen Arbeit unterschiedliche Kompetenzen, Vorgehensweisen, Ansätze und Wechselbeziehungen zu untersuchen. Innerhalb dieser Vorgehensweise lud mich Dr. Noppeney nach Witten ein, um mir die Möglichkeiten zu geben, eine von ihm initiierte Auftragsarbeit anzufertigen, die von diesem Seminar, der Universität oder ähnlichem handelt. Ich vermittle dort also letztlich nichts außer einem Vorgehen. Ich inszeniere Bilder, stelle Fragen, implementiere Arbeitstechniken, die es ermöglichen, daraus eine Arbeit zu machen - ganz klassisch mit der Staffelei im Feld, die Natur durch die bloße Anwesenheit beeinflussend. Bildkompetenz ist dabei ein Seminarthema, welches pragmatische Bedeutung hat: Wie auch immer man es nennen mag, wir leben im pictorial-, visual- oder iconic-turn. Wir kommunizieren über Bilder. Bildwahrnehmung, die Kompetenz, Bilder betrachten zu können, unterschiedliche Bildwelten auszuhalten oder einfach sehen zu lernen, sind Grundlage zeitgemäßen Managements. Zunächst einmal ist diese Kompetenz nichts anderes als ein neues Führungsinstrument und Managementtool - genauso, wie die Protokolle von Enno Schmidt ein Managementtool sind, das allein bis jetzt nur noch nicht als solches betrachtet wird. Die Funktion von Bildern über ihre repräsentative Funktion hinaus interessiert mich, und wenn ich in Witten ein Interesse habe, ist es das Interesse, gemeinsam mit Studierenden die Frage zu stellen, welche Bedeutung Bilder für Unternehmen haben, was das Visuelle im Unternehmen ist? In Unternehmen herrscht das reinste Rokoko. Mir geht es nicht um das Paar: Unternehmer und Künstler. Das ist eine Konstruktion, die hilfreich in der Argumentation und Analyse ist, aber letztlich lachhaft bleibt. Ich habe eine Reihe von Fragen an die Welt, die ich zu stellen versuche. Dafür erscheint es sinnvoll, über Wirtschaft genauso nachzudenken, wie über die Funktion von Kunst, was das jeweils auch immer sei. K.A.: Kannst du etwas mehr sagen über die unterschiedlichen Kompetenzen und Ansätzen von dir und Dr. Noppeney und zu deinen Fragen an die Welt? A.C.: Die Ansätze von Noppeney und Chodzinski? Nun, es gibt zwischen uns eine Art Konsens darüber, wer die “Feinde” sind, ein gemeinschaftliches Unwohlsein und die Auffassung, das Differenzen gewahrt werden müssen. Auch wenn dies wenig konkret scheint, sind es doch Eckpunkte einer produktiven Zusammenarbeit. Es ist in diesem Fall zulässig und notwendig, Leerstellen leer zu lassen, wenn man sich geeinigt hat, dass die Wahrung der Differenz oberste Prämisse ist. Das ist also die Basis der Zusammenarbeit. Die unterschiedlichen Kompetenzen sind schnell aufgelistet: Noppeney weiß viel über Ökonomie, Wirtschaft, Unternehmen, Theorie und darüber was es heißt, Kunst zu machen. Chodzinski weiß etwas über Bilder, künstlerische Strategien, Theorie und Management. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir jeweils Fachleute für das Gebiet des anderen sind und eigentlich nur konsequent Zweifel bei dem anderen streuen. Unsere Arbeit ist auf eine altmodische Weise erkenntnisorientiert, und das einzig Stereotype ist vielleicht, dass ich nie, Noppeney aber sehr wahrscheinlich damit Geld verdienen wird. Zu den Fragen, die ich an die Welt habe, kann ich eigentlich nur naiv, einfältig und romantisch antworten: Die totalitäre Macht der Arbeit bricht sich langsam, die gesellschaftlichen Modelle folgen einfältig einer kapitalistischen Logik, und eine feudalistische Struktur wird immer ungebrochener postuliert. Also: Was heißt Widerstand? Was heißt Verantwortung? Was heißt Arbeit? Wer ist der Feind? Was ist ein Bild? Meine Fragen an die Welt sind geprägt von Wut und Liebe - auch wenn dies vielleicht nicht gerade im Katechismus der Coolness verzeichnet ist... K.A.: Armin, Du hast gerade in St.Gallen an der Universität bei den Wirtschaftswissenschaftlern Vortrag gehalten. Was konntest Du dort sagen? Was waren die Erwartungen an Dich? A.C.: Außer ein ungerichtetes Interesse an meiner Biografie gab es eigentlich keine Erwartung an mich. Noppeney und ich haben dort über das Visuelle im Management gesprochen und eine Rollenverteilung vorgenommen: Ich habe visuell argumentiert und in der Session als Regisseur fungiert, Claus dagegen hat verbal argumentiert und als Schauspieler oder Akteur agiert. Diese Rollenverteilung gewährleistete, dass ich bis auf wenige Ausnahmen nicht reden musste und erzeugte eine merkwürdige Spannung - immerhin ist der Regisseur ein Künstler und der Akteur Harvard-Absolvent. Im Endeffekt haben wir nur vorgeführt, wie stark das tägliche Agieren im Unternehmen von Bildern und den Vorstellungen, die sie erzeugen, geprägt ist, dass man Bilder nicht ignorieren kann und sie sowohl ein Werkzeug als auch ein Mittel der Selbsterkenntnis sind. K.A.: Was wären dann für dich die kommenden Konsequenzen aus diesen Aktionen mit Studierenden der Wirtschaftswissenschaften? A.C.: Die Konsequenzen, die man daraus ziehen kann, bilden sich langsam heraus, werden immer wieder verworfen und wieder neu erfunden. Vielleicht ist diese Form der Konsequenzen, die sich generieren lassen, eine wirkliche, bildnerische Tätigkeit. Es entsteht etwas - aber was es ist? Das hat viel mit Vertrauen zu tun: Vertraue ich in die Bilder, vertraue ich in Sichtbares und Unsichtbares, dann scheint die Konsequenz einfach. Alle müssen Bilder sehen, alle müssen eine Liebe zu Bildern entwickeln und dann ändert sich die Welt, weil das Bild die Komplexität lustvoll einführt und das simplifizierende in sich ausschließt. Vereinfachung als Dämon der Gesellschaft. Vertraut man in diese von Naivität getragene Haltung, ist das eine Konsequenz missionarischen Charakters, die auf der Schwelle zwischen Peinlichkeit und Wirksamkeit changiert. Letztlich ziehe ich aber eigentlich nie wirkliche Konsequenzen im Sinne von richtig oder falsch, vielmehr ergeben sich neue Handlungsanweisung. Es erscheinen Felder, die man sich in der Konsequenz des Gesehenen genauer anschauen muss. Ich dringe immer tiefer ein und bin immer wieder erstaunt und brauche immer wieder Zeit, zu sehen, was ist. Die Vorstellung von dem, was sein könnte oder sein müsste, treibt mich zwar, aber eigentlich bin ich immer noch nur dabei, zu versuchen zu verstehen. Eines wirkt sich natürlich immer auf das Nächste aus, aber dies wirklich zu benennen, ist mir nicht möglich und vielleicht ziehe ich mich an diesem Punkt auch einfach auf eine klassische Produzentenrolle zurück, die die Vermittlung anderen überlässt, um in der fortwährenden Reflexion nicht handlungsunfähig zu werden. K.A.: Und ich dachte bei Armins Besuchen bei Wirtschaftlern hauptsächlich an den Wunsch nach möglichst vielen Feindkontakten. Enno, bei Armin spricht mich das Vertrauen an in die Vermittlung der Lust auf die Komplexität in Unternehmen und in die Wahrnehmung von Konsequenzen als prozessual. Dabei bleibt Armin bildhaft der Fremdkörper, der kreative Störfaktor. Bist Du der Typ Künstler mit Helfer-Syndrom, der an der guten Zukunft arbeitet und sich dazu strategisch eingliedert? Du fasst auch das “virtuelle” (im Moment nur in Beratungen existierende) Institut für neue Medien in Frankfurt als Unternehmen auf. Und was vermittelst Du als “Research Fellow” (offizielles Mitglied des Lehrkörpers) den Akademiemitgliedern und Studenten bei Deinen regelmäßigen Auftritten an der Brookes University in Oxford? E.S.: An der Brookes, School of Art, geht es um den Aufbau eines Studiengangs mit Namen: “Social Sculpture”. Ich helfe dabei, in dem Aufbau der Netzwerke interessanter Projekte, die zu einer Definition des Studiengangs beitragen, die Begriffe etwas präzise zu halten. Das ist sicherlich typisch deutsch, aber gerade das macht den Austausch interessant. Die Briten sind wunderbar in ihrem pragmatischen Angang, der durchaus Tiefgang hat. Aber Begriffe sind für mich noch etwas anderes. Begriffe, damit meine ich keine nominellen Definitionen. “Begriffe” sind - um an Armin anzuschließen - Bilder. Begriffe sind Wesen besonderer Art. Ich versuche, in stattfindenden Prozessen das wiederzuerkennen, was über sie hinausgeht, was sich mit anderen Bedeutungen verbindet. Den Studenten vermittle ich, was ich gar nicht sollte. Ich gebe ihnen in ihrer Kritik an der Schule Recht. Wenn es um Kunst geht, wenn es auch noch um “Social Sculpture” geht, muss als erstes dieses verintellektualsierte, verbürokratisierte, eingeengte und dann auch noch moralisch argumentierende Schulwesen geändert werden - auch in Oxford. Ich plädiere dabei nicht für politische Schul-Arbeit, ich plädiere für Kunst, und zwar in dem Fall zunächst ganz altertümlich. Wenn dort das Neue angestrebt werden soll, muss vielleicht genau so ein erkennender Griff in die Vergangenheit getan werden, sonst ist das Neue schnell noch älter als alt. Was meine Arbeit im Institut für Neue Medien in Frankfurt anbelangt, so geht es da um die Wahrnehmung von Prozessen, die sich unterhalb des Mainstream abgespielt haben und jetzt aber die größere Zukunftskraft haben. Es geht also wiederum um Bilder, um die Wahrnehmung von Zusammenhängen als Bild. So ein Institut macht eine Geschichte durch. Dabei werden bestimmte Themen fokussiert. Z.B. Neue Medien Kunst, digitale Interaktivität, theoretische Diskurse, künstliche Intelligenz, Knowbots. Dann gründen sich Firmen aus. Dabei ändern sich Finanzierungsmodelle und zeitgeistige Stimmungen. Vieles, was nebenbei in Gang gesetzt wird, geschieht so unverfälscht und auch so unbewusst, als sei man bei den Ureinwohnern einer Südseeinsel. Es treten ursprüngliche Gesellschaftsmodelle, Geldmodelle, Arbeitsmodelle dabei auf. “Ursprünglich” meine ich jetzt aber nicht im Sinne von vergangen, sondern im Sinn von gegenwärtig. Dann komme ich und sehe die andere Seite, das, was Entwicklung innerhalb der Entwicklung war, was weniger hip war, was aber die radikaleren und jetzt zeitgemäßen Potentiale hat. Ich stelle Kontinuität her, in dem ich die naheliegenden Entwicklungen aufzeige. Übrigens hat Kunst oft damit zu tun, das aller Naheliegenste wahrzunehmen. Und das hat mit “Begriffen” zu tun. Das sind Zukunftskonzepte. Was jetzt in Deiner Frage die Formulierung: “Helfer-Syndrom” oder “Arbeit an der guten Zukunft” angeht - das ist ja kritisch gemeint - so sind solche Empfindungen wohl eher eine Falle. Es sind versandete Traditionen aus dem Humanismus. Sich strategisch einzugliedern, ist für mich persönlich allerdings die richtige Vorgehensweise, weil ich nicht meine Ideen als Besserwisser verkünden will - und auch gar nicht kann, sondern weil ich sie aus dem Vorgang entwickeln will, weil sie quasi aufstehen müssen. K.A.: Der Künstler als Mega-Unternehmensberater? Du hast bei den Wilhelmi Werken auch die wechselnden Unternehmensberatungen der letzten 10 Jahre aufgearbeitet. Was war dein “Bild” oder dein “Dienst” dabei? E.S.: Ich habe die Problemanalysen und strategischen wie operativen Vorgaben der letzten 10 Jahre in der Firma durchgearbeitet und zusammengefasst. Mein Bild war, dass es immer die gleichen Fragen und Problem waren, die immer wieder auftraten, als seien sie neu. Sie wurden `mal beratender, `mal befehlender formuliert. Wenn Problempunkte und Handlungsableitungen sich in dieser Dauer wiederholen, dann ist das zum Einen ganz normal. Probleme sind nicht nur zum Lösen da, sondern auch zum Haben. Sie müssen eben immer wieder bearbeitet werden. Zum Anderen sind sie eine Tretmühle, unter der ganz andere Punkte liegen. Und die haben - ich sehe das so - wieder mit Kunst zu tun. Da geht es ans Eingemachte, an blinde Flecken, sowohl persönlich wie ganz grundsätzlich. Grundsätzlich, damit meine ich Fragen wie: Was für eine Wirtschaft wollen wir denn? Was ist ein Unternehmen? Das sind keine Fragen für Unternehmensberater. Das muss einen selbst als Person interessieren aus der Sache heraus, nicht aus fertigen Interessen, nicht im Raster vorgefertigter Systeme. K.A.: Was für Interessen oder Systeme meinst Du? E.S.: Das Interesse, eine Beratungsleistung und vorgefertigte Steuerungssysteme zu verkaufen, finanzielle Interessen. Mit denen hört man als Berater nur solange zu, bis man sein System einklinken kann. Solche Systeme, sogenannte Tools, Werkzeuge, wie Total Quality Management (TQM) oder Balanced Scorecards (BSC) sollen Wechselwirkungen zwischen den Aufgabenbereichen des Unternehmens sichtbar machen. Sie sollen aufzeigen, wo Prioritäten liegen, wo investiert werden soll, sie sollen Messwerte für Erfolge festlegen lassen, sie sollen das komplizierte Gebilde Unternehmen sachlich und überprüfbar machen. Aber auf welcher Ebene setzt die Sachlichkeit hier an? TQM beispielsweise finde ich vom Ansatz her gut. Es geht darum, das Unternehmen in seiner Komplexität dezidiert und klar zu denken. Das Denken ist also das eigentliche Tool. Aber was verstehe ich unter “Denken”? Das mag eine philosophische Frage sein. In Unternehmen ist das sofort eine sehr praktische Frage. Auf der Ebene der Frage nach dem Denken muss ich die Sachlichkeit ansetzen. Das ist ungewohnt. Aber wenn ich die Sachlichkeit zu flach ansetze, dann sklerotisiert sie schnell, dann entbehrt sie ihrer immanenten Freiheit, dann ist die Sachlichkeit unschöpferisch. Letztlich geht es bei diesen Unternehmenstools auch mehr um den Abbau von Arbeitsplätzen, um Einsparungen, als um ein Beleben und neue Ideen. Auf diese Weise erhalte ich eine unproduktive Vorstellung von Unternehmen. Produktivität aber heißt auch: Es geht um Fähigkeiten, die wir haben und nur in Gegenseitigkeit entwickeln können. K.A.: Unser erstes Gespräch, im Versuch einen momenthaften Ort zwischen Kunst und Unternehmen anzusprechen, wurde 2002 unter dem Titel “Sehnsucht und Qualitätsfrage” im Katalog zu “art & economy”, Deichtorhallen Hamburg/Siemens Arts Program abgedruckt. Für eine kommende Publikation, die an der HdBK Braunschweig erscheinen soll, haben wir ein Gespräch zu “Kunsthochschule und Geld - Wanderdüne oder Entwicklungsfrage” beigetragen. Noch unveröffentlicht ist das letzte Gespräch “ `Bild´ oder `Dienst´ ”. Wir führen die Reihe am 19. September 2002 weiter fort im “Weser 5” unter dem Thema “Arbeiten am Logo”. “Weser 5” ist das Diakonische Zentrum am Frankfurter Hauptbahnhof. Dort wird täglich mit circa 30 Sozialarbeitern denen zugehört, die anders als die bürgerliche Norm leben. Wie kann sein was nicht sein soll? Das Anderssein ist zum Teil freiwillig und absichtlich, zum größeren Teil erwächst es aus Not oder Krankheit. In “Weser 5” werden Bedürftige begleitet, bekommen ein Mittagessen, können zum Schlafen und Ausruhen wenige Tage bleiben, bevor ein weiterführender Plan gefunden ist. Da entsteht vielleicht in Gegenseitigkeit ein neuer “Überschuß” an sozialer Kompetenz - für alle. Was will Kunst in selbstkritischer Weise am Beispiel eines solchen Unternehmens nach innen und nach außen leisten? Wie kann ich Anerkennung herstellen im Milieu und darüber hinaus? Im Bahnhofsviertel kreuzen sich verschiedene und extreme Lebensformen, ethnisch abgegrenzt wie multikulturell durchmischt, bewohnt auch von Protagonisten der Frankfurter Kulturszene. In diesem Quartier, dem “Tor zur Stadt”, werden traditionell viele im Transit angespült, manche straucheln und sind gefährdet. Lebensweisen erscheinen unsicher und verunsichernd angesichts der herrschenden Vorstellungen. Investoren verfolgen ihre privaten Interessen zur Aufwertung durch Umnutzung. Welcher “Bedarf” meldet sich? Welches “Image” kann sich vermitteln? | |||||