Dr. Wolfgang Ullrich    
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Der Kreislauf von Kunst und Geld
Eine kleine Ökonomie des Antiökonomismus

Bei einer Party plauderten neulich ein paar hohe Herren - allesamt Vorstandsmitglieder großer deutscher Unternehmen - über ihre privaten Kunstsammlungen. Der Ranghöchste unter ihnen, ein Konzernchef, erzählte stolz von einem Erlebnis, das er wenige Wochen zuvor gehabt habe. Er sei Georg Baselitz vorgestellt worden, vom Galeristen persönlich, und Baselitz habe ihn gleich als erstes gefragt, ob er denn ein Bild von ihm besitze. Der Vorstandschef mußte verneinen, worauf ihm Baselitz erwidert habe: "Dann spreche ich auch nicht mit Ihnen." Der so Brüskierte empfand diesen Satz des Malerfürsten freilich alles andere als beleidigend oder unverschämt, sondern war beeindruckt: Noch am selben Abend kaufte er ein Baselitz-Gemälde. Wohlgemerkt: Der Konzernchef trug diesen Vorfall in stolzem Ton vor, und die anderen Herren nickten beifällig und voller Bewunderung darüber, daß ihr Gesprächspartner nun einen Baselitz in seiner Sammlung hat. Man sah ihnen an, daß sie genauso gehandelt hätten, sofern es ihre finanzielle Lage erlaubte; immerhin ist ein solches Bild eine Anschaffung, für die auch ein Vorstand einige Zeit arbeiten muß, vielleicht ähnlich lange wie ein Angestellter für einen Mittelklassewagen. Doch interessant an diesem Kunstkauf ist nicht nur, wie locker hier jemand eine große Summe für ein einziges Bild ausgibt, sondern was ihn letztlich dazu veranlaßt hat: Daß sich der Künstler unbeeindruckt von der gesellschaftlichen Position seines Gegenüber, von der Macht des Spitzenmanagers zeigte, bestätigte diesen in seiner hohen Meinung von der Kunst.
Demnach ist diese ein von Kompromissen, Anpassung und Korruption freier, ein wirklich autonomer Ort ungezügelter Kreativität, eine Insel weniger Seliger. Die freche Bemerkung des Künstlers, die sich niemand sonst gegenüber einem Vorstandschef erlauben dürfte, wird daher wohlwollend als erneuter Beweis solch idealer Unabhängigkeit gewertet - und fasziniert zudem als größtmöglicher Kontrast zu all den Huldigungen, Speichelleckereien und Demutsbekundungen, die einem Menschen mit Macht sonst entgegengebracht werden. Die Kunst erweist sich als das große 'Andere', und der Verstoß gegen gesellschaftliche Höflichkeitsformen gilt als Zeichen eines unkonventionellen künstlerischen Lebensstils, der sich ebenso durch Originalität wie durch eine besondere Moralität - ein überlegenes Transzendieren aller bloßen Regeln - auszeichnet.
Hingegen erkannte der Vorstandschef nicht, daß er mutmaßlich selbst einem Machtspiel ausgeliefert war: Künstler wissen sehr wohl um das Image, das sie bei den Repräsentanten staatlicher und ökonomischer Macht genießen, wissen auch um das Verhalten, das sie an den Tag legen müssen, um als Künstler Eindruck - und im weiteren gute Geschäfte - zu machen. Das Repertoire von Gesten, die Unangepaßtheit signalisieren, haben gerade die erfolgreichen unter ihnen daher am besten eingeübt und bei jeder Gelegenheit parat. Dies kann man freilich wiederum als besondere Form von Anpassung, als tautologischen Akt gegenüber den Künstler-Klischees derer deuten, auf deren Geld ein Maler oder Bildhauer scharf und oft auch angewiesen ist, kann also die Farce künstlerischer Autonomie beklagen. Doch genauso läßt sich darin eine eigene Sprache der Macht erkennen: Mit ihrer Chuzpe schüchtern die Künstler gerade die sonst Mächtigen ein und fordern sie zu einem Unterwerfungsverhalten heraus. Auch wenn offenbar das Bedürfnis nach einem solchen Verhalten besteht (und sogar stolz davon berichtet wird), ist es doch das Verhalten von Verunsicherten - und was die Künstler mit ihrem Auftreten bieten, ist nicht nur eine eigens abgestimmte Dienstleistung für unterwerfungswillige Manager oder Unternehmer, sondern ist und bleibt ein Ausspielen von Macht. Diese Macht wuchs den Künstlern nach und nach, im Verlauf von wenigstens zwei Jahrhunderten zu. Je mehr die Kunst zu einer Gegenwelt - jener Insel der Seligen - und damit zugleich zu einem Ausnahmezustand verklärt wurde, desto mehr moralische Autorität konnte sie für sich reklamieren, hielt sie doch Distanz zu den Verlogenheiten und Banalitäten täglichen Lebens. Diese ihre Autonomie sollte sie aber sogar zu noch mehr prädestinieren, und sie avancierte zu einem Breitband-Therapeuticum, das alle Anstrengungen und Verletzungen zu kompensieren verhieß, die der Alltag aufgrund seiner Berufspflichten und vielfältigen gesellschaftlichen Anforderungen mit sich brachte, wobei Fürstenwillkür oder staatliche Maßnahmen den Druck auf den einzelnen oft zusätzlich erhöhten. Vor allem aber die zunehmend industrialisierte, rationalisierte und kapitalisierte Arbeitswelt, ferner Phänomene wie die Verstädterung oder das Vordringen von Wissenschaften, modernen Techniken und Welthandel wurden als bedrohlich und entfremdend, als Symptome eines Sich-selbst-Verlierens des Menschen beurteilt. Erstmals bei Rousseau und genereller seit der Romantik setzte sich ein Geschichtsbild durch, das eine große, dramatische Verfallsbewegung konstatierte und damit auch die Hoffnung auf Erlösung - oder zumindest die Sehnsucht nach einem Ausgleich - weckte.
Neben der Natur war die Kunst die einzige Kandidatin, der man eine Befreiung des Menschen zu sich selbst zutraute, und jener ihrer Nobilitierung zugrundeliegende kulturkritische, antimoderne und insbesondere auch antiökonomische Diskurs war so verbreitet, daß er paradoxerweise selbst viele Protagonisten des modernen - als aggressiv-entfremdet beklagten - Lebens erfaßte. Wissenschaftler, Techniker, Industrielle, Banker oder Manager gehen also oft so weit, gerade ihre eigene Rolle kritisch zu sehen und - zumindest in reumütigen Viertelstunden - selbst nach einem Gegenpol zu ihrer als einseitig, stupid, menschenverachtend oder oberflächlich empfundenen Arbeit zu suchen. Noch immer würden nicht wenige Business-People seufzend und schuldbewußt Schiller zustimmen, der am Ende des 18. Jahrhunderts als einer der ersten jene Entfremdung diagnostizierte, Symptome dafür sammelte und auch ihre Ursachen benannte. So schreibt er etwa an einer prominenten Stelle, der Geschäftsgeist sei "in einen einförmigen Kreis von Objekten eingeschlossen und in diesem noch mehr durch Formeln eingeengt", müsse daher "das freie Ganze sich aus den Augen gerückt sehen und zugleich mit seiner Sphäre verarmen." Und weiter stellte Schiller fest: "...der Geschäftsmann hat gar oft ein enges Herz, weil seine Einbildungskraft, in den einförmigen Kreis seines Berufs eingeschlossen, sich zu fremder Vorstellungsart nicht erweitern kann".
Vor allem dieses Gefühl des Eingeschlossenseins, das ihr sonst so machtvoll-starkes Handeln begleitet, bringt Menschen wie jene Vorstände großer Firmen dazu, an ihrer Lebensform zu zweifeln und dafür im Künstler einen Antipoden zu erblicken, der ein Maximum an Freiheit besitzt und nicht unter Einförmigkeit leiden muß. Bewunderung und manchmal sogar Neid wird dem Künstler daher entgegengebracht, der sich als Fluchtpunkt vieler Phantasien von unabhängigem Leben anbietet, die freilich ihrerseits oft ziemlich eintönig sind. Die Beschäftigung mit Kunst dient Unternehmern, Managern oder Vertretern anderer statusträchtiger, aber zugleich anstrengender Berufe als Refugium und als Beleg dafür, doch noch zu Höherem, Umfassenderem disponiert zu sein als zum bloßen Geschäft. Wie schon Schiller in der Kunst alle Einseitigkeit und Entfremdung aufgehoben sah, schätzt die von bildungsbürgerlichen Werten nachhaltig geprägte Gesellschaft sie bis heute als Verwirklichung des Humanum, als Ort, an dem die sonst herrschende Verengung auf das rein Rationale und Zählbare ebenso überwunden ist wie die Banalität bloßer Unterhaltung und Zerstreuung.
Die erstaunlich großen Summen, die für Kunst gezahlt werden, sind aber nicht nur Folge dieser besonderen Wertschätzung, sondern können zugleich als Dementi der kapitalistischen Ökonomie interpretiert werden. Immerhin ergeben sich die hohen Preise - zumindest im Fall zeitgenössischer Kunst - nicht etwa aus einem gegenüber der Nachfrage zu knappen Angebot. So besitzen sie nicht zuletzt eine demonstrative Funktion, und ein Manager, der beispielsweise ein Gemälde von Baselitz erwirbt, tut damit kund, auch einmal 'irrational' und - nach dem Maßstab seiner sonst streng befolgten Grundsätze - unökonomisch zu handeln. Schon das Zahlen eines hohen Betrags für ein Stück Kunst trägt den Charakter eines Befreiungsschlags, muß man sich doch endlich einmal nicht jenes "enge Herz" nachsagen lassen und kann dafür der lange angestauten, nie eingestandenen Verachtung des eigenen Metiers Ausdruck geben. Aufschlußreich ist freilich, daß der Eintritt in die Gegenwelt ökonomischen Denkens doch wieder über den Weg des Gelds gesucht wird, das hier allerdings kaum noch als Währung innerhalb eines klaren Tauschgeschäfts fungiert, sondern dessen man sich entledigt, so als würde es, anders als das Sprichwort behauptet, stinken. Manchmal mag das Ausgeben und Verschwenden des Gelds sogar wichtiger für das eigene Seelenheil sein als die im Gegenzug erworbene Kunst; zumindest bereitet es fast immer das stärkere Erlebnis, sich schlagartig eines großen Betrags zu entäußern, wobei das aufregende Gefühl, ja der Nervenkitzel, damit Grenzen zu überschreiten, ungenauerweise dann doch meist dem Kunstwerk angerechnet wird, dem man entsprechend enorme Wirkqualität unterstellt. Allerdings widersprechen die hohen Summen für Kunst nicht jeglicher Ökonomie, und es findet gerade beim Erwerb moderner Kunst statt, was Marcel Mauss und Georges Bataille als Ökonomie der Verschwendung analysiert haben: Wer sich verausgabt, indem er seinen Reichtum in etwas anlegt, für das es - nach Auffassung vieler Menschen - keine äquivalente Gegenleistung gibt, vernichtet zwar Kapital, verblüfft damit aber auch, verunsichert die anderen und erwirbt sich auf diese Weise einen höheren gesellschaftlichen Rang. Tatsächlich steht eine Mehrheit moderner und zeitgenössischer Kunst kritisch oder auch hilflos gegenüber, kann also - anders als bei den meisten übrigen Statussymbolen - nicht nachvollziehen, wieso jemand dafür so viel Geld ausgibt, und sieht daher einen Akt maßloser Verschwendung darin. Diese erfolgt zudem nicht unbedingt im Verborgenen, sondern wird mit den Kunstwerken gleichsam zur Schau gestellt, was ihre soziale Funktion belegt: "Deshalb geschieht die Verschwendung ostentativ, weil der Verschwender sich durch sie den anderen als überlegen erweisen will". Im weiteren bestimmt Bataille den "rangbildenden Wert" sogar als eigentliche Funktion des Luxus, den er übrigens vor allem "in der Umgebung der modernen Banken" verortet.
Sofern die Luxusgegenstände nicht von vornherein nur als Spekulationsobjekte erworben werden, die bei einem späteren Wiederverkauf eine anständige Rendite abwerfen sollen, sind sie aus der Sicht der kapitalistischen Ökonomie grundsätzlich Verschwendung: Anstatt das Kapital nutzbringend zu investieren oder zumindest für abschreibungsfähige Posten zu verwenden, wird es gleichsam totgestellt. Dies gilt für den Kauf moderner Kunst ganz besonders. So gilt sie a priori als zweckfrei, besitzt anders als etwa Designermobiliar keine konkrete Funktion, ist aber auch nicht mit so viel Spaß und sinnlichem Erleben verbunden wie eine Yacht oder eine Geliebte. Vielmehr verweigert sie sich fast immer traditionellen Vorstellungen von Schönheit, ist spröde, hermetisch und eher anstrengend als entspannend. Wer nach Kompensation sucht, ist mit einem Konzert oder einem Roman im allgemeinen jedenfalls besser bedient als mit einem abstrakten Gemälde oder einer Installation. Auch sind Musik, Literatur, Theater oder Film ungleich preisgünstiger zu rezipieren als das eigene Bild über dem Sofa, im Arbeitszimmer oder Foyer. Wenn viele Reiche und Mächtige dennoch Gemälde anderen Kulturgütern vorziehen - obwohl sie die Kunst sehr wohl als Ausgleich begreifen -, belegt dies um so eindrucksvoller, daß letztlich doch noch stärker als das Bedürfnis nach einer Gegenwelt der Wunsch nach Rang und Macht ist, die der - demonstrative und exklusive - Kauf von Bildern oder Skulpturen mit sich bringt und postuliert.
Kauft ein Vorstand oder Manager zeitgenössische Kunst, erwirbt er sich aber nicht nur Renommee gegenüber seinen Kollegen und Konkurrenten sowie - vor allem - gegenüber der großen Mehrheit der weniger Vermögenden, die sich schwerer tun, ihren Einsatz für humanistische Werte (die 'Kunst an sich' verkörpert) zu bekunden oder via Verschwendung (die 'moderne Kunst' für viele darstellt) einzuschüchtern. Vielmehr besitzt der Einsatz hoher Summen, die - durch die Vermittlung von Galeristen oder Art-Consultants freilich ungefähr halbiert - dem Künstler zukommen, in diesem Fall den Charakter eines Potlatsch, der Grundform jeder Ökonomie der Verschwendung: Der Kunstkäufer will auch den Künstler damit in Verlegenheit bringen, verunsichern und nicht zuletzt bändigen oder sogar beschämen. Nicht als Gegenleistung für das Kunstwerk, sondern um einen Sieg über den - sonst als moralisch überlegen geltenden - Künstler davonzutragen, zahlt der Kunstkäufer das viele Geld. Zwischen ihm und dem Künstler wird auf diese Weise ein Kampf um Integrität ausgetragen, und indem er sein Geld 'irrational' opfert, nimmt der Unternehmer, Manager oder Politiker dem durch den Künstler verkörperten Antiökonomismus, dessen primäres Angriffsziel er sonst wäre, den Wind aus den Segeln. Doch dementiert er mit seinem Potlatsch nicht nur die kapitalistische Logik, sondern er nötigt den Künstler zugleich zu einer Art von Komplizenschaft, indem er ihm mit dem Geld das Symbol der Korrumpiertheit aufzwingt: Ein reicher Künstler hat es viel schwerer, seine Unabhängigkeit glaubhaft zu machen, er erscheint vielen bereits zu verstrickt in die Geschäftswelt, um noch als 'anders' - als unschuldig - Eindruck machen zu können.
Sofern der (erfolgreiche) Künstler Gefahr läuft, durch hohe Summen selbst korrumpiert zu werden, sind diese tatsächlich nicht nur Folge der therapeutischen Kraft, die man der Kunst unterstellt. Vielmehr dient der Preis für die Kunst auch als Mittel innerhalb eines Wettstreits um die moralische und damit zugleich gesellschaftliche Vorrangstellung, die die ohnehin Mächtigen gerne ebenfalls noch für sich in Anspruch nähmen. So sehr das viele Geld einerseits das Selbstwertgefühl der Künstler steigern und damit arrogantes Verhalten wie das von Baselitz begünstigen mag, so sehr entpuppt sich ein solches Verhalten ebenso als Notwehr: Nur auf diese Weise kann der Künstler beweisen, daß er sich seine Unabhängigkeit - und damit seine Unschuld - bewahrt hat. Sein Gegenüber bewußt zu brüskieren, provoziert zwar erst den Potlatsch, ist aber zugleich die einzig mögliche Antwort darauf, nämlich der Beleg, daß die mit dem Geldopfer versuchte Einschüchterung und Verlegenheit nicht gelingt. Hier schließt sich der Kreis und läßt die Protagonisten als ewig ringende, einander bei aller Differenz ebenbürtige Kämpfer erscheinen. Ob sie letzlich beide Sieger oder beide Verlierer sind, entscheidet die Willkür des Betrachters.